Eddie Rosner Projekt

Eddie Rosner after his return from the Gulag

Gedanken zum EDDIE ROSNER Projekt

Der Umgang  mit der Musik von Eddie Rosner war für mich vor allem von zwei grundsätzlichen Aspekten geprägt: Erstens die „Begegnung“ mit einem „Musikerkollegen“, der in einer anderen Zeitepoche gewirkt hat und der zweitens ein Leben unter den Vorzeichen von Verfolgung und mehrfachem Exil verbracht hat.

Sich mit der Musik eines anderen zu beschäftigen heißt auch immer, sich mit der Zeit auseinander zu setzen, in der er gewirkt hat. Gerade seine Jugendzeit, die Berliner 1920er Jahre, waren als Anfangszeit des Jazz in Deutschland sicherlich außergewöhnlich, da ein völlig neuer Musikstil auf noch eine intakte nationale oder regionale, noch nicht globalisierte Musikkultur traf. So zählten Eddie Rosner und die Weintraub Synkopators höchstwahrscheinlich u.a. zu den ersten Deutschen, die den amerikanischen Jazz aufsogen und auch praktisch umsetzten; gleichzeitig aber handelte es sich hier um Musiker, die in einer damals noch aktuellen europäischen und deutschen Klassik, Spätromantik und in einer Kultur der volkstümlichen Walzer, Polkas und der Berliner Lieder aufgewachsen waren.

Es ist immer wieder schwierig und traurig, sich vorzustellen, was es heißt, solchen über die Jahre gewachsenen Strukturen den Rücken kehren zu müssen. Die Nationalsozialisten haben auch im Bereich des Jazz in Deutschland einen Kahlschlag hinterlassen, der nie wieder repariert werden konnte; die Frage der Authentizität in Bezug auf Herkunft und Tradition, für jeden mir bekannten amerikanischen Jazzmusiker wichtig und gleichzeitig selbstverständlich, ist speziell für deutsche Jazzmusiker bis heute unvermeidlicherweise ein immer wieder kehrendes, schwieriges Thema.

Eddie Rosner nahm „seine“ Musik, die schon international geworden war, mit ins Exil – was für ein Glück, wenn man an die vielen deutschen Flüchtlinge denkt, die z.B. die deutsche Sprache zu ihrem Beruf gemacht hatten: Als Lehrer, Juristen u.ä. und die dafür im Ausland nun keine Verwendung fanden.

Bei den Arrangements von Stücken von oder unter Beteiligung von Eddie Rosner entschied ich mich, quasi chronologisch, zunächst für „Sweet Sue, Just You“ („Ob du glücklich bist“) von ca.1930. Kein Material, was direkt zu mir spricht, da ich selbst eher durch die Musik der 1960er und –70er Jahre sozialisiert worden bin und mich erst mit der Zeit älteren Jazzstilen zugewandt habe. Da die Melodie sehr dominant ist, habe ich erst gar nicht versucht, das Stück zu modernisieren, sondern in den Vordergrund gerückt, was für alle jungen Musiker wichtig ist: Sie wollen ihr Instrument spielen und improvisieren.
So ist ein zentraler Bestandteil meines Arrangements ein Trompetensolo des jungen Eddie Rosner (stilistische Ähnlichkeiten zu Louis Armstrong lassen sich in keinem Fall leugnen), das ich zerlegt und zu einem Band-Dialog mit unserem Schlagzeuger zusammengesetzt habe.

Ein Titel wie „Vielleicht“, gesungen in russischer Sprache mit Anklängen an Jazz, Tanzmusik der 1950er Jahre und russische Folklore, wirkt auf mich wie die Parallelwelt eines Max Greger oder eines Hans „James“  Last, die ebenfalls in ihrer Anfangszeit  als Jazzmusiker tätig waren und die später mit eigenen privaten oder mit staatlichen Rundfunkorchestern die westdeutsche Nachkriegslandschaft mit vom amerikanischen Jazz beeinflusster Unterhaltungsmusik versorgt haben. Hier habe ich eine radikalen Schnitt gemacht zwischen der etwas eckigen und theatralischen Melodie und unserer darauf folgenden Kollektivimprovisation im Stil eines Ornette Coleman der 1960er Jahre.

„Das Wiegenlied“ und „Dich kenne ich nicht“ sind die Kompositionen, die mir musikalisch am nächsten stehen; man könnte sie, in einer anderen Umgebung aufgenommen, durchaus dem „Hard Bop“, einer stilistischen Variante des Moder Jazz, zuordnen. Hier habe ich entweder einen Einleitungsteil hinzugefügt oder mir eine spezielle rhythmische Phrasierung und einen Ablauf für die Improvisation erdacht; mit diesen Titeln konnten wir ohne Probleme machen, was wir auch mit den meisten unserer aktuellen Stücke tun.

Das große Glück für Eddie Rosner war, ein Leben lang Musik machen zu können; das größte aber, daß er so viele schlimme Situationen überlebt hat. Was wäre gewesen, wenn er nicht gen Osten gezogen wäre sondern mit seinem Talent auf die unermesslichen Weiten der US-amerikanischen Unterhaltungskultur getroffen wäre?

Ob Eddie unsere Version seiner Musik gefallen hätte? Er hätte vielleicht sein Horn ausgepackt und mitgespielt!

Dirk Engelhardt  März 2010

 

Dirk Engelhardt Quartett

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